Danka Kowalskis Rede anlässlich des 25+1sten Jubiläums 2021

"Liebe Mitglieder der Salomo-Birnbaum-Gesellschaft, liebe Freunde und Gäste,

endlich darf ich Sie zu unserer Geburtstagsfeier der Salomo-Birnbaum-Gesellschaft herzlichst begrüßen! Unser 25+1-jähriger, noch schöner, Vierteljahrhundert-Geburtstag sollte letztes Jahr gefeiert werden, wurde aber wegen der Pandemie, wie so vieles andere, verschoben.

Wir sind um ein außergewöhnlich aktives Jahr älter, aber auch um mehrere neue Mitglieder, die sich in diesem Jahr unserer Gesellschaft angeschlossen haben, reicher geworden! Ich will kurz auf die wirklich ereignisvolle 26jährige Geschichte unserer Gesellschaft eingehen, aber eben sehr verkürzt, denn sonst würde keine Zeit für unsere zwei Gastvorträge bleiben.

Im Oktober 1995 haben ein paar Jiddisch-Enthusiasten, die sich vorher regelmäßig in einem Übersetzerkreis getroffen haben, beschlossen, einen Verein für Jiddisch in Hamburg zu gründen. Der erste Verein seiner Art in der Bundesrepublik und bis heute der einzige. Als erstes wurde eine Satzung formuliert - die übrigens bis auf kleine Veränderungen noch heute gilt - in der man sich der Pflege und Verbreitung der jiddischen Sprache und Kultur verpflichtete und beschloss, Publikationen und Forschung finanziell zu fördern.

Einige der Gründungsmitglieder wie Katharina Raff, Thomas Henning, Claudia Kruse oder auch Ingedore Rüdlin sind bis heute aktive Mitglieder der SBG und einige sind heute anwesend. Ich grüße Euch ganz herzlich und danke Euch für Euren Einsatz. Leider sind zu viele von den Gründungsmitgliedern viel zu früh verstorben. Ich denke an Inge Pieper, Cornelia Baulsom-Lövy, Dorothea Greve, Avner Gruber, Dörte Friedrich – „Koved“ deren Gedenken!

Ich kam ein Jahr nach der Gründung der SBG dazu, lernte damals Jiddisch an der Volkshochschule bei Dorothea Greve und war von Anfang an, wie viele andere auch, von ihrem Enthusiasmus und ihrer Faszination für die Sprache der osteuropäischen Juden angesteckt. Es war schon eine sehr merkwürdige Situation: Ich, aus Polen kommend, lernte ausgerechnet hier in Deutschland die mir bis dahin völlig unbekannte Muttersprache meiner Eltern und Großeltern….

Es kamen über die Jahre viele neue Mitglieder zur SBG dazu. Sie alle hatten unterschiedliche Gründe, sich mit dieser im Untergang befindenden Sprache zu beschäftigen. Dorotheas Liebe zur jiddischen Sprache begann z. B. mit einem jiddischen Lied, das sie zufällig als 16jährige im Radio gehört hatte und das sie anschließend nicht mehr losließ. Bei anderen wurde durch Klezmer das Interesse an Jiddisch geweckt.

Sicherlich kam dazu auch eine innere Verpflichtung, sich auf Grund der deutschen Vergangenheit mit dieser Sprache und ihren ermordeten Sprechern zu beschäftigen. Ich würde es so formulieren: Ich spürte in dem Enthusiasmus der Gründer einen gewissen Trotz, sie wollten das Verschwinden dieser Sprache schlicht nicht akzeptieren. Eine der Hauptaufgaben der damals neugegründeten Gesellschaft bestand in der Unterstützung und der Bekanntmachung der in Jiddisch schreibenden Autoren und der Veröffentlichung ihrer Werke.

Damals, Ende der neunziger Jahre, lebten noch mehrere aktive Jiddisch-Schreiber, und wir waren natürlich sehr stark daran interessiert, sie nach Hamburg zu Lesungen einzuladen oder sie zu besuchen. Es entstanden Übersetzungsprojekte für Werke von Joseph Burg, Alexander Lisen, Yechiel Shraybman, Mascha Rolnikaite, Lev Berinsky, Boris Dorfmann, Boris Sandler und viele andere.

Und es entstanden Freundschaften!!! Unsere erste von vielen eindrucksvollen Reisen führte uns auf Einladung von Alexander Lisen und der von ihm geführten „Kulturorganizatsye oyfn nomen fun Sholem Alejchem“ nach Lviv, Ukraine. Es war das Jahr 1998 - Zeit des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion… Zur Gegeneinladung nach Hamburg kam zu uns ein ganzer Bus mit Mitgliedern der Kultur-organisation, deren Chor sowie das Tanzensemble.

Ein Jahr später folgte die Reise nach Vilnius, mit einer unvergesslichen Führung von Fanja Brantsovskaya, einer Partisanin im Zweiten Weltkrieg. Dann das klitzekleine jüdische Museum und eine uns alle schockierende Reise mit Rachel nach Ponar, einem Ort der Massenerschießungen… Es waren keine gemütlichen Bildungsreisen, sie führten uns zu den Orten der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten und deren lokale Helfer. Wir begegneten den Überlebenden, wir begegneten den Trümmern der ehemals lebendigen Kultur. Mit einem Wort: sehr viel Bewegendes und Aufrüttelndes. Diese Erfahrungen haben uns aber stark zusammengefügt, zu echten Freunden gemacht.

Es folgten noch viele andere spannende Reisen. Fast jedes Jahr eine, z.B. zweimal nach Israel auf Einladung von Yitzhak Luden und Daniel Galay, nach Amsterdam mit dem unvergessenen und alles wissenden Professor Levin, mehrmals nach Polen auf den Spuren des jüdischen Lebens und auf den Spuren von jiddischen Schriftstellern, begleitet musikalisch von Lev Berinsky und Tova Ben Zvi. Dann die wunderbar von Renate Gültzow organisierten Reisen nach Riga und Vilnius sowie die sehr interessante letzte Reise nach Lviv, Czernowitz und Drohobycz. Es gab auch noch kleine Reisen in die Umgebung von Hamburg, wie zur Hagenauer Synagoge, nach Bergen-Belsen und viele mehr. Wie viele Fahrten habe ich vergessen zu erwähnen? Bestimmt etliche!

Es wurde gleichzeitig für die wachsende Zahl von Mitgliedern fast jeden Monat ein Vortrag oder Seminar mit Schwerpunkt jiddische Literatur oder jüdisches Leben organisiert. Dazu wurden Referenten aus der „gorer velt“ eingeladen, manche waren mehr-mals zu Gast in Hamburg, wie z.B. Professor Lichtenbaum, Natalia Krynicka, Miriam Trinh, Karolina Szymaniak oder Rafi Goldwasser mit seinen Sholem-Alejchem-Vorführungen.

Und die wunderbaren Konzerte, die öfters auch im Polittbüro vor größerem Publikum stattfanden… Wir haben viele faszinierende Musiker eingeladen, tolle Freundschaften geschlossen und versucht, möglichst vielen Leuten die Begegnung mit Jiddisch und jüdischer Musik zu ermöglichen. Es traten auf Mendy Cahan, Teresa Tova, Ruth Levin, Zvi Kanar, Lea Schlanger, Polina Belilovsky, das Warschauer/Strauss Duo, Christian Dawid mit einer beeindruckenden Gruppe aus Krakau, das Ensemble Waks mit Inge Mandos, Efim Chorny zusammen mit Dorothea, Stella und Inge und, und, und… Und immer wieder Karahod mit Dorothea Greve, Petra Ritschel und Stefan Goreiski. Es gab wirklich viele Highlights zu hören und zu sehen…

Ich muss sagen; wir haben wirklich „mazl“ gehabt, denn unter unseren Mitgliedern waren mehrere „mameloshn-redndike“, auf Neudeutsch „native speakers“: Avner Gruber, Gillel Melamed, Professor Levin, Meir Strojakovski. Sie alle haben uns ihr Wissen, ihre Erfahrung und sehr viel menschliche Wärme gegeben.

Ich habe heute hier gar keinen Anspruch auf die korrekte Darstellung der Geschichte der SBG - das wird man eines Tages machen müssen. Jetzt will ich nur akzentuieren, was so anders ist, so speziell bei dem Engagement für Jiddisch. Das ist keine Sprache wie jede andere, auch wenn manche von uns ursprünglich wegen eines sprachwissenschaftlichen Interesses dazu kamen. Nein, es ist ein Eintauchen in eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Es ist ein ständiger Dialog mit den Geistern der Vergangenheit, sich all dem zu stellen und es auch zu ertragen… Nicht einfach, und immer mit sehr vielen Emotionen verbunden.

Und so habe ich die Beziehungen zwischen den Mitgliedern erlebt - sehr nah, sehr emotional. Ich habe etliche von meinen SBG-Freunden richtig geliebt, deren Tod hat für mich persönlich einen schweren Verlust bedeutet. Im Jahr 2016 haben wir innerhalb von drei Monaten drei Freundinnen und Jiddisch-Dozentinnen verloren: Dorothea Greve, Dörte Friedrichs und Sabine Böhlich.

Dieser unerwartete Verlust stellte die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen, es dauerte eine Weile, bis wieder ein einigermaßen normaler Lernbetrieb funktionierte. Leider ist im Anschluss an Doros und Dörtes Tod auch die Dozenten-Stelle für Jiddisch an der Uni Hamburg gestrichen worden. Wir bedanken uns sehr bei Annika Hillmann, Lilian Türk, Matthias Heilmann und Martin Quetsche für deren Einsatz zur Rettung des Jiddisch–Unterrichts. Dank euch haben die Jiddischkurse in der Zeit der Pandemie sehr gut weiter funktioniert, es entstand sogar ein neuer Lesekreis via ZOOM.

Zum Abschluss wollte ich mich bei meinen Mitstreitern im Vorstand der SBG -Inge Mandos, Renate Gültzow, Birthe Nitz und Marcel Seidel - herzlichst bedan-ken. So einen aktiven, kreativen und anpackenden Vorstand gab es schon lange nicht mehr in der SBG. Und unsere Vorstandsmitglieder haben nicht nur tolle Ideen, sie realisieren sie auch mit enormen Kräften und Zeiteinsatz. Ob der plötzliche Auszug der SBG-Bibliothek aus den Räumen in der Rothenbaumchaussee zu bewältigen ist oder die Organisation des Programms zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ - es wurde tagelang an sehr bürokratischen Anträgen fürs Ministerium gearbeitet, telefoniert, organisiert, geprobt, Stühle geschleppt und dann wurden die Veranstaltungen tatsächlich realisiert!!! Und das alles unter komplizierten Corona-Auflagen…

Leider sind dem Institut für Jüdische Philosophie die Räumlichkeiten in der Rot-henbaumchaussee gekündigt worden und unsere Bibliothek ist wieder heimatlos. Vor uns steht jetzt die schwierige Aufgabe, neue Räume für jiddische Bücher in Hamburg zu finden. Wie hoffen dabei sehr auf Eure Unterstützung und Ideen! Ich schaue mit Stolz und Verwunderung auf diese 25+1 Jahre (waaas, schon sooo viel Zeit vergangen!?) - und mit Spannung und Zuversicht in die Zukunft unserer Gesellschaft!